Die Krone der Technologie-Führerschaft hat sich seit neuestem die österreichische Motorradschmiede KTM selbst auf das orangefarbene Haupt gesetzt. Noch bevor die Wettbewerber überhaupt daran denken konnten, gelang KTM zusammen mit BOSCH der Clou: Man hatte ein serienreifes Kurven-ABS entwickelt und bringt es seitdem unters zweiradfahrende Volk. Dieses System, auf neuhochdeutsch motorcycle stability control (MSC) genannt, kann gefühlt die
Physik überlisten und lässt in maximaler Schräglage eine Vollbremsung im ABS-Regelbereich zu, ohne dass die Räder blockieren und die Maschine ebenso unelegant wie hart aus der Kurve fliegt.
Nicht, dass der Autor dieser Zeilen dies jemals nutzen oder auch nur ausprobieren könnte. Anfang der Neunziger, als ich Motorradfahren lernte, hat man in Kurven nicht gebremst, wenn man noch etwas länger leben wollte. Egal, was passierte. Egal, mit welcher Maschine, auf welchem Belag oder bei welchen Witterungsbedingungen. Bei Gefahr in der Kurve gab es nur einen Weg: TIEFER REIN! Und das sitzt irgendwann genauso tief im Kopf drin. Das Abzuschalten und doch in maximaler Schräglage beide Bremsen in den Regelbereich zu bringen – naja, sagen wir mal, dafür bräuchte es
schon einen gehörigen Nagel im Kopf.
Dennoch ist das neue System faszinierend. Sozusagen die Quadratur des Kreises. Und für Sicherheitsfanatiker wie mich ein Kaufargument, wenn es um ein neues Mopped geht. Könnte ja sein, dass man es irgendwann mal braucht. Also muss man es auch haben. Soviel will ich vorweg nehmen: Bei meiner Probefahrt bei Bodo Schmidt in Schmelz kam das neue MSC nicht zum Einsatz. Ich hab KTM einfach mal geglaubt, dass es funktioniert. ;-))
Also rauf auf das noch kalte Mopped und die 150 PS mal losgelassen! Könnte man zumindest meinen, aber bei dieser KTM heißt kalter Motor auch wirklich kalter Motor. Die ersten Meter wurden so zur Qual, denn die Maschine war schlicht nicht bereit, meinen Gasbefehlen einfühlsam zu gehorchen. Dazu kamen diese deutlich spürbaren Vibrationen im Lenker, die meine Backenzähne ziemlich unangenehm zum Mitschwingen brachten. Und dann noch diese zu kurzen Gas- und Bremshebel. Hat das noch keiner in Mattighofen mal selber ausprobiert? Oder haben Österreicher genetisch bedingt kleinere Hände als wir? Wieso braucht irgendjemand auf diesem
Planeten eine Drei-Finger-Kupplung???
Plötzlich wurde es besser. Die Cockpitanzeige glänzte mit Betriebstemperatur des großen V2 unter mir, die Vibrationen gingen wenigstens ein bisschen zurück und der Moloch von Schmelz verschwand so langsam im Rückspiegel (Himmel Herr Gott! Wieder zu klein! Ich seh so nix!). Und ebenso plötzlich kam der Spaß. Kein Auto vor mir, sondern nur die freie Landstraße. Und eine KTM, die nur noch nach vorne wollte. Dritter, vierter Gang, Gas auf und den V2 schieben lassen. Nächste Kurve, übernächste, überübernächste. Einfach nur Leistung satt! Geschwindigkeitsbegrenzungen verlieren an Bedeutung. Tunnelblick….
Rote Ampel. Ausatmen. Einatmen.
OK. Fährt sich ganz passabel, wenn sie mal in Fahrt ist. Das Fahrwerk ist auf Höhe der Zeit, bis auf die starke Eintauchbewegung beim scharfen Anbremsen. Und unter 3000 Touren kommt so gar nichts. Womit man leben könnte, wenn man nicht versucht, im normalen, fließenden Verkehr mitzuschwimmen. Denn das ist etwas, was die Adventure gar nicht mag: Mitschwimmen. Sie will von der Leine gelassen werden und nicht hinter LKWs eingebremst werden. Das wäre so, als wenn man den ganzen Tag mit einer 45er Magnum mit gespanntem Hahn in der Hosentasche rumlaufen
würde, weil so ein Teil in manchen Lebenssituationen ja ganz nützlich ist. Und den Rest der Zeit passt man halt auf, dass man sich nicht selber damit umbringt. Oder mal anders ausgedrückt: Möchte ich die 1190er Adventure in den Alpen dabei haben? Oh ja, ich will! Damit GSen jagen und sich die neonfarbenen Westen Ihrer Fahrer als Trophäen in die Garage hängen – wer will das nicht? Will ich die Anfahrt auch auf eben dieser KTM machen? Lieber nicht. So leidensfähig bin ich dann doch nicht. Das wäre mir zu anstrengend, glaube ich.
Nun gut, also zurück nach Schmelz zum Händler. Doch irgendwas stimmt nicht. Irgendwas ist anders. Das Universum scheint sich in der Phase verschoben zu haben, etwas Unerklärliches geschieht hier, die Macht wird erschüttert. Verdammt ist das heiß! Und ich meine HEIß!!! Meine Hose! Gebt mir Wasser! Autsch! Aua!
Erst mal runter vom Mopped. Die Hose ist brüllend heiß! Die Abwärme des riesigen V2 hat mich gut durch gekocht. Und das bei 15, 16 Grad Lufttemperatur. Das geht gar nicht. Ich springe wie ein Jojo-Ball über die Landstraße und traue mich doch nicht, die Hose runter zu reißen. Und erspare mir so den Polizeieinsatz. Und kann es kaum fassen. Das muss doch schon mal jemand vor mir
bemerkt haben?!?
Hat es auch. Man schaue mal ins KTM-Forum.
Ich bin froh, wieder auf der Tiger zu sitzen und genieße den Drilling auf der Rückfahrt nach Trier….