Schaut man sich heutzutage auf dem Reiseenduro-Markt um, so fällt auf, dass die Auswahl so groß ist wie nie zuvor. Hersteller aus Deutschland, Österreich, England und natürlich Japan wetteifern um des Kunden Gunst. So unterschiedlich, wie die einzelnen Konzepte sind, so haben sie doch auch einiges gemeinsam: Hohe Maschinen, die zwar so gut wie nie im Gelände eingesetzt werden, aber so ausssehen müssen, als könnte man es. D.h. gerne große Vorderräder bis 21 Zoll, Gitterrohrrahmen und große Federwege. Das ganze packt man dann in die technoide Brutalität eines Designs, was manchmal eher an einen Kampfstern erinnert, als an ein Motorrad. Maschinen vom Schlage einer BMW R1200 GS, KTM 1190 Adventure R oder Triumph Tiger Explorer 1200 XC sind wuchtige, kampforientierte Design-Konzepte, deren Alpha-Mopped-Status unverkennbar und unbestreitbar ist. Kolosse auf zwei Rädern.
Aprilia geht da einen anderen, einen italienischen Weg. Das Design ist zum Niederknien. Im Libretto des Designers stand nichts geringeres, als die anmutigste, schönste und begehrenswerteste Reiseenduro zu kreieren, die es bisher auf die Strassen der Welt geschafft hat. Und es ist ihm gelungen. Jede Linie, jede Kante verspricht in einer phänomenalen Formensprache nur eines: Erhabenheit. Die Caponord 1200 will nicht ins Gelände und braucht deshalb keine Rücksicht zu nehmen auf die Erfordernisse, ob real oder ausgedacht, die der Reiseenduro-Mainstream so mit sich bringt. Sie steht auf 17 Zöllern und stellt hinten einen 180er Reifen zu Schau. Ihre Eleganz beeindruckt auf der ganzen Linie.
Aber Schönheit allein war noch nie genug. Und das weiß man auch in Italien. Zum Gänsehautfeeling gehört bei einem Motorrad auch der Sound, und der ist bei Aprilia einfach nur beeindruckend. Der original Schalldämpfer erlaubt auch dank Klappensteuerung ein lautes, bösartiges Wummern, was eher schon einer audiophilen Duftmarke entspricht, als einem schnöden Abgasgeräusch. Die Ingenieure in Italien müssen wochen- ja monatelang gefeilt haben, um dieses dunkle Bellen genau so und nicht anders intonieren zu können. Emotion pur.
Dann steigen wir auf und nehmen Platz auf dieser sportiven Reiseenduro. Und greifen den irrsinnig breiten Lenker, der in optimaler Position platziert den Fahrer einlädt, vorderradorientiert die Strassen zu erkunden. Dabei ist die Sitzposition sehr aufrecht und entspannt. Fast so, als säße man auf einer Supermoto. Der Sitz ist dennoch bequem, die Kniewinkel auch mit Gardemaß perfekt. Die Aprilia integriert den Fahrer, nimmt in auf, ergänzt ihn. Die Symbiose Mensch und Maschine beginnt.
Bis dahin verspricht die Caponord so einiges und muss jetzt Taten folgen lassen. Das Fahrwerk ist semiaktiv und per Knopfdruck vom Auto-Modus auch manuell in diverse Beladungszustände einstellbar. Ebenso lassen sich die Traktionskontrolle und das ABS konfigurieren und auch ein Fahrmapping lässt sich auswählen. Es bleibt heute im Auto-Modus und die Fahrhilfen bleiben an, man weiß ja nie.
Also lassen wir dem bärenstarken V2 los und freuen uns zunächst einmal über ein Getriebe, welches seinesgleichen sucht. Präzise und buttterweich zu schalten dürfte es kein besseres in einer Reise-Enduro geben. Und das Fahrwerk ist ein Traum. Die Elektronik sorgt dafür, dass immer ausreichend Komfort vorhanden ist, und trotzdem die Sportlichkeit nicht fehlt. Die Aprilia lässt sich spielerisch leicht durch die Kurven jagen, denn das Fahrwerk scheint schon fast im Voraus zu wissen, was verlangt wird. Eintauchen der Gabel beim harten Einbremsen? Vergesst es! Schläge in den Rücken bei groben Fahrbahnunebenheiten? No way! Die Vorspannung des Federbeins ist ebenso wie die Zugstufe und Druckstufe vorne und hinten immer perfekt. Die Caponord giert nach Geschwindigkeit in allen Kurvenradien und auf allen Straßenbelägen. Dabei sollte man den Tachometer nicht aus den Augen lassen, denn dem V2 ist es fast egal, welcher Gang gerade anliegt. Spannt man den Gashahn, dann lädt der riesige V2 durch und katapultiert Fahrer und Maschine Richtung Kurvenausgang. Drehmoment satt. Spaß auch.
Die Elektronik mag dabei dem eingefleischten Freund alter Techniken zu wieder sein. Aber im Falle einer Caponord 1200 macht sie einen Großteil des Spaßfaktors aus, mit dem die Maschine offenbar serienmäßig ausgeliefert wird. Das Fahrwerk ist einfach eine Wucht. Der Sound und die Optik über jeden Zweifel erhaben. Was bleibt noch als letztes Kaufargument? Nunja, die Aprilia hat Bluetooth an Bord. Und da der Autor dieser Zeilen fest daran glaubt, dass alle guten Dinge Bluetooth haben, rundet das natürlich noch das Gesamtbild positiv ab. Was man damit machen kann? Ist doch wirklich egal, oder? ;-))
Die Probefahrt wurde mir heute übrigens von Motorrad Klein in Dillingen ermöglicht. Hier sei mal ein wenig Werbung erlaubt, denn ich habe mich gut aufgehoben gefühlt und konnte bei einem oder zwei Kaffee noch einen Plausch mit dem Chef halten. Beide Daumen hoch!
Wird fortgesetzt.....